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ZELTSchriften
Vol.3, Nr. 2
-5;
Herbst 2004
- Landschaftsinterpretation
untertage –
- Das
Projekt Einhornhöhle
- bei Scharzfeld im Südharz
von
Friedhart
Knolle, Ralf Nielbock, Firouz Vladi
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Landschaftsinterpretation
untertage – wie das?
„Landschaftsinterpretation
ist die gezielte Profilierung und Nutzung lokaler Ressourcen mit
Hilfe sanfter touristischer Erlebnisangebote“ – so das
Selbstverständnis von ZELT (www.zelt.de). Dass „Landschaft“
dabei nicht immer nur die Natur oberhalb der Erdoberfläche sein
muss, sei nachfolgend am Beispiel einer Harzer Schauhöhle
demonstriert. Gerade in der Einhornhöhle bei Scharzfeld am Südharz,
die wie keine andere Schauhöhle Norddeutschlands die
Interpretationsaspekte „Natur“ und „Kultur“ verbindet, wie
wir sehen werden, kann die interpretative Synergie dieser beiden Zugänge
hervorragend demonstriert werden. Aus Naturschutzgründen sollte
sich sich die untertägige Landschaftsinterpretation jedoch auf die
der breiten Öffentlichkeit zugänglichen Schauhöhlen beschränken
– auch dieses ist ein wichtiger Teil der notwendigen Selbstbeschränkung
in unserem Fach. Dass die Entwicklung interpretativer Techniken für
die Schauhöhlen nicht nur des Harzes dringend notwendig ist, zeigt
die Praxis bei fast jedem Höhlenbesuch in Mitteleuropa immer wieder
– außer oft schlecht herübergebrachter Laiengeologie und Märchen
und Sagen um mehr oder weniger kitschig fehlinterpretierte
Tropfsteine haben die allermeisten Schauhöhlen leider wenig zu
bieten. Ein breites Arbeitsfeld für die Landschaftsinterpretation!
Die
Einhornhöhle im Südharz: Geotop, Biotop und Archäotop
Die
Einhornhöhle ist ein bekanntes Geotop, Natur- und Kulturdenkmal
sowie die größte Besucherhöhle im Westharz. Die Höhle befindet
sich etwa 1,5 km nördlich von Herzberg-Scharzfeld im Landkreis
Osterode am Harz und hat eine begehbare Gesamtganglänge von über
600 m. Entlang des ca. 270 m langen Führungsweges reihen sich
mehrere große Hallen und Dome aneinander, die durch niedrige Gänge
verbunden sind. Gerichtete Deckenklüfte zeigen den Weg durch die Höhle.
Im Südwesten der Höhle, in der sog. Blauen Grotte, befinden sich
zwei Deckeneinstürze, die einzigen heute noch vorhandenen natürlichen
Eingänge zur Höhle.
Die
Höhlenforschungen um die vorletzte Jahrhundertwende hatten das
Ziel, den "diluvialen Menschen" (= Mensch des
Eiszeitalters) zu finden. Dies gelang erst 1985 mit dem Fund von
Steinwerkzeugen aus der Altsteinzeit. Die Ausgrabungen 1985 - 1989
ergaben, dass die Höhle vor mehr als 100.000 Jahren über lange
Zeiträume von Neandertalern besiedelt war.
Erst
allmählich kristallisiert sich der Gesamteindruck von Zeit und
Raum in der Einhornhöhle heraus. Nach den neuen Forschungen können
wir die wahren Dimensionen und die große interdisziplinäre
wissenschaftliche Bedeutung dieses Geotops ermessen. Die Höhle
bietet neben den in ihrer Zeitkontinuität herausragenden
kulturgeschichtlichen Aspekten die einmalige Gelegenheit,
anhand der Höhlenfauna vielseitige Auskunft über die hiesige
tierische Lebewelt vom jüngeren Eiszeitalter bis zur Gegenwart zu
erhalten.
Um diesen höhlenspezifischen
Fundus der Öffentlichkeit nahe zu bringen, wurde 2002 von Höhlenforschern
und Geowissenschaftlern der
Verein "Gesellschaft Unicornu fossile e.V." gegründet,
der die Höhle vom Eigentümer, der Realgemeinde Scharzfeld,
anpachtete. Die Neukonzeption der Höhle dieses Vereins steht unter
dem Motto „Geotop – Biotop – Natur- und Kulturdenkmal
Einhornhöhle“. Neben Maßnahmen zum geotopgerechten Umgang
mit der Höhle und ihrer Umgebung
geht es aber auch darum, dass künftige Forschungen vor Ort
im Dialog mit der Öffentlichkeit durchgeführt werden. Die neue Präsentationsart
der Höhle und insbesondere die Höhlenführungen neuen Typs, die
sich zunehmend an den Methoden der Interpretation orientieren, wurde
von den Besuchern der Saison 2003 bereits sehr positiv angenommen.
Um
das touristische Angebot weiter zu verbessern, wurde zum
Saisonbeginn im April 2004 die neue Höhlenbaude „Haus Einhorn“
mit Gaststätte, Kiosk und Höhleninfo eröffnet.
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Neandertaler
in der Einhornhöhle
Die
ersten wissenschaftlichen Grabungen in der Einhornhöhle, vom
bekannten Berliner Arzt, Pathologen und Urgeschichtler Rudolf
Virchow ab 1872 durchgeführt, hatten bereits das erklärte
Ziel, Spuren und Hinterlassenschaften des eiszeitlichen Menschen zu
finden. Diese und auch die nachfolgenden Ausgrabungen und
Untersuchungen blieben leider erfolglos. Der damalige Direktor des
Provinzialmuseums Hannover (Landesmuseum), Karl-Hermann
Jacob-Friesen, hatte bereits die richtige Vermutung und grub
sich 1925/27 in dem später nach ihm benannten Jacob-Friesen-Gang
von der Höhle ausgehend durch eiszeitliche Sedimente eines bis
unter die Decke verfüllten Ganges in Richtung vermuteter ehemaliger
Tagesöffnung. Leider fand er weder den verschütteten Eingang noch
Beweise einer steinzeitlichen Besiedlung. Er schuf damit allerdings,
ohne es zu ahnen, die Voraussetzungen für die späteren Funde.
Im
Jacob-Friesen-Gang der Einhornhöhle wurden 1985 unerwartet mehrere
mittelpaläolithische (= mittlere Altsteinzeit) Artefakte
gefunden, darunter ein präparierter Kern. Es erfolgte bis 1989 eine
gemeinsame Grabungskampagne der TU Clausthal
mit dem Landesmuseum Hannover und anderen Institutionen
sowohl in der Höhle als auch außerhalb. Es konnten wesentliche
Erkenntnisse über die altsteinzeitliche Besiedlung und die
Sedimentation gewonnen werden - die gesamte Sedimentfüllung des
„Ganges“ ist von einem heute verschütteten, ehemals sicher über
20 m hohen
Höhlenportal mit Abris und Vorplatz in die Höhle gelangt. Erst im
Laufe von Jahrzehntausenden wuchs das Sedimentpaket an und der Gang,
der in Wirklichkeit eine verfüllte Halle ist, wurde unpassierbar.
In allen Grabungsstellen wurden Steinartefakte gefunden, in oberen
Schichten auch jüngeres Material. Der Nachweis der Anwesenheit des
„Urmenschen“ in der Einhornhöhle war gelungen!
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Die
bisherigen Absolutdatierungen, die Faunenzusammensetzung der
Tierknochenfunde und ihre technologischen Kennzeichen deuten auf eine
zeitlichen Stellung der Artefakte von der mittleren Weichselkaltzeit
bis in die Eem-Warmzeit (Maximum vor ca. 120.000 Jahren), d.h. in
den Sedimenten spiegelt sich eine Abfolge der Besiedlung der Höhle
über viele Jahrzehntausende wieder. Die Verfertiger der Steinwerkzeuge
waren somit Neandertaler, menschliche Knochenfunde fehlen zur
eindeutigen Bestätigung bislang aber noch.
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Die
Neandertaler
müssen über lange Zeiträume die Höhle immer wieder
aufgesucht haben bzw. war das damalige Höhlenportal ein über viele
Generationen genutzter Aufenthaltsort. Die Fundstreuung
und die Vielzahl kleiner und kleinster spitzkantiger Absplisse zeigt
zudem an, dass hier Steinwerkzeug über lange Zeiträume vor Ort
hergestellt wurde. Die Einhornhöhle war somit auch eine
„Steinwerkstatt“ des Neandertalers.
Zur
Herstellung benutzte er überwiegend Harzgesteine aus der näheren
Umgebung (Quarzite, Grauwacken, Kieselschiefer und Hornfelse).
Einige Rohlinge brachte er allerdings auch aus größerer Entfernung
mit: Bruchstücke des im Südharz nicht vorkommenden baltischen
Feuersteins. Das für die Bearbeitung relativ schlechte Rohmaterial
mit seiner Klüftigkeit und groben Körnung verhindert eine ideale
Ausbildung von Schlag- und Bruchformen, wie sie vom Feuerstein und
somit von anderen Fundstellen bekannt ist.
Das
Einhornhöhlenmaterial sieht etwas unscheinbar aus. Dafür hat diese
Fundstelle allerdings die Besonderheit der langen zeitlichen Dauer
der Begehung durch den eiszeitlichen Menschen. Erwähnenswert sind
ferner Hinweise auf Feuergebrauch. In den gleichen Schichten wie die
Steinartefakte wurden auch zahlreiche Knochen von Höhlenbären
geborgen. So verlockend es wäre, sie als Jagdbeutereste des
Menschen zu deuten, so entschieden muss betont werden, dass zur Zeit
keine Hinweise auf einen solchen Zusammenhang der Anwesenheit von
Mensch und Bär vorliegen.
Zum
bisherigen Forschungsstand ist allerdings auch zu bedenken, dass
erst ein verschwindend geringer Anteil der Sedimente ergraben wurde.
Uns ist heute nicht einmal 1/1000 des Inhaltes dieses Höhlenteiles
bekannt!
Spuren
des nacheiszeitlichen Menschen
Es
gibt auch Spuren des nacheiszeitlichen Menschen: Die Nutzung der
Einhornhöhle in der Nacheiszeit ist im Bereich der Blauen Grotte
durch archäologische Funde in das 4. Jahrtausend v.u.Z. datiert. Es
handelt sich dabei um mehrere kleine, „Dechsel“ genannte
Steinbeile aus der Zeit der ersten Bauern. Das Bruchstück einer
Streitaxt gehört an das Ende dieser Zeit um 2000 Jahre v.u.Z. Aber
auch die anderen, eingangsfernen Höhlenteile bis zum Weißen Saal
wurden bereits in prähistorischer Zeit von Menschen aufgesucht,
wie eine Spiralplattenfibel der mittleren Bronzezeit (ca. 1.400 -
1.200 v.u.Z.) und 2500 Jahre alte Fibeln aus dem Früh-Latene belegen.
Überwiegend aus den letzten 5 Jahrhunderten v.u.Z. stammen überdies
große Mengen Keramikscherben, welche als Überreste von
Opferhandlungen zu deuten sind. Welche Bedeutung (Opfer, Grab?) den
menschlichen Knochen in den nacheiszeitlichen Höhlensedimenten
zukommt, ist bislang nicht zu klar.
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Bisher
steht fest: in den Höhlensedimenten befinden sich Hinterlassen
aller Kulturstufen von heute bis zurück zum Neandertaler. Die
Einhornhöhle ist somit eines der bedeutendsten Kulturdenkmäler
Deutschlands. Offen bleibt bisher die Frage: Wer hat vor dem
Neandertaler die Einhornhöhle aufgesucht?
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Ein
interpretativer Gang durch die Räume der Einhornhöhle
Der
heutige Besucher betritt die Einhornhöhle über einen 1903 zur
Abraumwältigung angelegten Stollen. Der ursprünglich recht hübsch
versinterte Weiße Saal war zuvor der hinterste begehbare Teil der Höhle.
Gleich rechts liegen in einer Trockenmauer zur Ansicht Kiese aus
einer geologischen Grabung von 1968. Nach Norden führt der von v.
Alten
1893 und Jacob-Friesen 1925 freigelegte und jetzt
verschlossene Hubertus-Gang mit seinen flach anstehenden Schichten
fluvialer Flussgerölle mit Gsteinen aus höher gelegenen
Harzregionen . In nordöstlicher Verlängerung der Höhle
muss ein ursprünglicher Höhleneingang mit dem Wasserzufluss
in die Höhle zu suchen sein. Die südliche Verlängerung des Weißen
Saales ist die Struckmann-Grotte. Interessant sind hier Hinweise auf
Paläokarst im Dolomit der Firste; auch dürfte diese Grotte dem
ursprünglichen Hauptkluftverlauf der Einhornhöhle entsprechen.
Die
nachfolgende Wolfskammer, benannt nach Funden von Wolfsknochen
vor ca. 120 Jahren, vermittelt in den Virchow-Gang. Hier wie
auch zuvor lassen sich an den Rändern die Reste der Sinterplatte
und aufsitzender Stalagmiten bzw. derer Reste erkennen. Eine erste
radiometrische Datierung zu den Sintern veröffentlichten Kempe
& Rosendahl (1999). Sie wiesen eine 150.000 Jahre umfassende
Wachstumsphase des Sinters an einem Fundstück aus einer früheren
Grabung nach und konnten die Detailergebnisse mit der
Klimageschichte des jüngeren Eiszeitalters vergleichen. Innerhalb
des Sinterstücks zeigten sich mehrere Schadensereignisse, möglicherweise
durch drückendes Höhleneis während der Kaltzeiten hervorgerufen.
In
der Hexenküche, einer östlichen Seitennische des Virchow-Ganges,
hat sich ein Decken-„Kolk“ bis 7 m Höhe entwickelt. Diese
mehrfach in der Höhle anzutreffenden Raumformen gehen auf
Sickerwasserkorrosion bis in die jüngere Entwicklungsphase der Höhle
zurück. Der örtlich noch übliche Begriff „Kolk“ knüpft an
die frühere Theorie turbulent fließenden Wassers in der Einhornhöhle
an.
Beachtenswert
sind an den Wänden der Gänge die Inschriften, eine der
ältesten heißt: „Georg und Paul von Walther 1559“.
Schon 1583 lieferte der Chronist Johannes Letzner eine sehr exakte Höhlenbeschreibung
mit der Erwähnung, er habe im (damals) hinteren Teil der Höhle
zahlreiche Inschriften vieler berühmter Männer gesehen.
Der
eindrucksvolle Schiller-Saal misst 8 m Raumhöhe und 35 m Länge. Er
ist nach einer Schillerfeier 1859 benannt; der Dichter hat die
Einhornhöhle aber wohl nie betreten. Die Wände des Saales reichen
fast 20m in die Höhlenablagerungen hinein. Braune Lehme mit
zahlreichen Knochen und Zähnen großer eiszeitlicher Säugetiere
gehen über in grobe Bruchstücke des Höhlendaches, darunter
rotfarbene lehmige Flussschotter und dann rotbunte Tone. Bis 10 m
folgt grober Dolomitschutt. Die Ergebnisse der Kernbohrung Einhornhöhle
1 in der Leibniz-Halle lassen erwarten, dass auch im Schiller-Saal
die Ablagerungen noch mächtiger sind.
Auch wenn der jetzige Hohlraum des Schillersaals demnach
„nur“ den oberen Teil einer weitaus größeren und höheren Höhle
darstellt, darf daraus jedoch nicht gefolgert werden, dass zu
irgendeinem Zeitpunkt ein solch hoher Hohlraum von über 20 m Höhe
in seiner gesamten imposanten Größe existiert hat. Vielmehr ist
der - ursprünglich eher kleinere - Hohlraum im Laufe der
Jahrhunderttausende von unten nach oben durch das Felsgestein
durchgebrochen. Auch im südwestlich anschließenden Bären-Gang
sind wieder hohe Decken-„Kolke“ entwickelt.
Die
größte und eindrucksvollste Halle der Einhornhöhle ist die
Leibniz-Halle. In dieser Halle fanden die meisten Grabungen statt.
Sie hat sich leicht erkennbar entlang zweier nach Südsüdwesten
verlaufender Klüfte entwickelt. Teile des Höhlendaches sind
zwischen diesen Klüften herabgefallen und ruhen innerhalb der mächtigen
Höhlenablagerungen. Einige Felsen liegen am Südostrand der Halle
aufgetürmt. Hier zweigt auch der Jacob-Friesen-Gang ab, benannt
nach dem damaligen Leiter des hannöverschen Provinzialmuseums, der
ihn als „Bisongang“ 1925/26 freilegte. Nur eine Handbreit unter
seiner Grabungssohle wurden im Zuge der Grabungen von Nielbock ab
1985 die ersten altsteinzeitlichen Steinwerkzeuge und begleitend
mehrere Bärenschädel gefunden. Dieser Gang erwies sich dann als prähistorischer
Zugang in die Einhornhöhle, sowohl für die hier überwinternde Bären
und ihre Begleitfauna als auch – jedenfalls im Eingangsbereich –
für den Menschen vor oder am Beginn der letzten Kaltzeit.
Über
den Hauptgang wird die Blaue Grotte erreicht. Das Licht hier unten
in der Tiefe des Erdfalls erzeugt einen außerordentlichen Reiz. In
den südlichen Nischen der Blauen Grotte bewiesen archäologische
Funde, wie z.B. ein Frauengrab aus der Bronzezeit, die frühgeschichtliche
Anwesenheit des Menschen. Da zunächst ältere als
jungsteinzeiltiche Funde nicht auftauchten, wurde früher
angenommen, dass der Deckeneinsturz erst in der Mittelsteinzeit
erfolgte. Die Kellergänge unter der modernen Ausgangstreppe enden
im Blockversturz. Hier und im Westen der von-Alten-Kapelle bestehen
wohl die besten Chancen, bisher unbekannte Fortsetzungen der
Einhornhöhle zu finden. Vor dem Einsturz der Blauen Grotte muss der
dortige Höhlenboden von einer soliden Sinterplatte bedeckt gewesen
sein. Sie wurde später auf der Suche nach Einhornknochen örtlich
unterhöhlt. Im Sinter sind eingebackene Knochen und Zähne von Großsäugern
zu beobachten.
Die
nach dem Oberforstmeister Paul v. Alten benannte „Kapelle“ ist
der südlichste Raum der Einhornhöhle. Hier besteht die Sohle aus
mehr als 7 m z.T. verwitterten Dolomitschutt. Ohne Zweifel dürften
die kiesführenden Schichten auch hier im Untergrund hindurchziehen.
Die nordwestlich an die von-Alten-Kapelle anschließende
Martha-Grotte mit dem Bärenkirchhof wurde durch v. Alten 1891
freigelegt. Sie erwies sich als schachtartiger Zugang während der
Weichselkaltzeit für die Bären, deren Knochen hier massenhaft und
z.T. noch im Verband anzutreffen und in ihren höheren Lagen im
Sinter eingebacken waren. Die flache südliche Fortsetzung der
von-Alten-Kapelle stellt möglicherweise die Firste eines verfüllten
Höhlenganges dar, dessen anderes, ebenfalls fossilführendes Ende
in der kleinen Höhle unter der südlich liegenden Kaiserklippe
durch v. Alten um 1895 freigelegt
wurde.
Die
Blaue Grotte ist heute der letzte Raum einer Höhlenführung.
Historisch war er der erste Raum und hat – damals noch über eine
Holztreppe, zuvor über einen behauenen Eichenstamm zu erklettern
– die früheren Besucher, am 10. August 1784 auch Goethe,
fasziniert.
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Sedimente
- der Schlüssel zur
Landschaft
Einer
der ersten Interpretatoren dieser Höhle und ihrer Umgebung war
Hermann Löns. Durch verwandtschaftliche Bindungen an die damaligen
Höhlenbetreiber verweilte er Anfang des 20. Jahrhunderts oft im Ort
und beschrieb in vielen Aufsätzen die Landschaft rund um die
Einhornhöhle in ihrem Zusammenspiel von Felsen, Pflanzen und
Tieren. Die Höhle nahm ihn in den Bann und er formulierte bereits
präzise seine Eindrücke und Empfindungen in diesem kalten,
tropfenden und dunklen Felsenloch. Die damaligen Forschungen
durch die Rudolf-Virchow-Stiftung sah er eher kritisch, da
die Grabungen ihm zu ungenau erschienen. Er gab uns aber den Anstoß,
diese Höhle mit anderen Augen zu sehen.
Wir
selbst haben bereits viele Erkenntnisse über die Einhornhöhle
gesammelt, befinden uns aber erst am Anfang der Erforschung dieser
teilweise mit 30 m Sediment verfüllten Hohlräume. Aber gerade die
Sedimente in der Höhle sind der Schlüssel zu einer ganz anderen
Welt. Die Höhlensedimente erzählen uns die Geschichten längst
vergangener Landschaften mit ihrem Wandel von Klima, Fauna und
Flora. Die Einhornhöhle hat diese Zeugnisse vergangener Landschaft
konserviert. Sie ist somit ein wertvolles Bio- und Geoarchiv.
Bislang sind wir dabei in eine Zeittiefe von nahezu 200.000 Jahren
vorgestoßen, der Elster-Kaltzeit. Durch die Tageslichtöffnungen
wurden immer Böden sowie Pflanzen-
und Tierreste in die Höhle hineingespült. Die Fossilliste der
Einhornhöhle zeigt bislang eine Vielfalt dieser Höhlenfauna auf über
70 erkannte Wirbeltierarten, darunter über 60 Säugetierarten auf.
Die Einhornhöhle ist mit dieser artenreichen eiszeitlichen Tierwelt
eine einzigartige Höhlen-Fundstelle im norddeutschen Raum! Zu
bedenken ist allerdings, dass allgemein Höhlenfaunen durch
verschiedenartige Selektion nur bestimmte Tierarten der jeweiligen
Zeitphasen enthalten, das natürliche Artenspektrum somit nicht
vollzählig ist.
Nach
der Elster-Kaltzeit folgten wärmeren
Klimaphasen, wie Funde von Riesenmaulwürfen, Wildkatzen und wärmeliebenden
Fledermäusen zeigen. Der Neandertaler
fühlte sich hier, mit der Höhle im Rücken, bereits im
Urwald der Eem-Zeit bei nahezu Mittelmeerklima wohl, auch damals
schon in Gesellschaft
von Höhlenbären und Löwen. Vor etwa 100.000 Jahren prägte dann
eine Savannenlandschaft mit wechselndem Klima die Gegend, ein
idealer Lebensraum für den gewaltigen Höhlenlöwen. Tierherden
zogen durch die flachen Talungen zwischen Harz, Kyffhäuser und
Solling, vom Felsen über der Einhornhöhle weithin sichtbar: ein über
Jahrzehntausende hervorragendes Jagdrevier für die Neandertaler!
Nachfolgend geht die offene Landschaft allmählich in ein
Steppenklima über. Löwe und Höhlenbär sind noch dominant,
vereinzelt finden sich aber auch Knochen eiszeitlicher Wölfe in den
Schichten.
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Zu den Bären und Wölfen
gesellen sich aber zunehmend kälteliebende Wühlmausarten wie
Nordmaus und Schneemaus. Die Landschaft verändert sich und es
beginnt die lebensfeindliche Hauptvereisungsphase. Höhlenbär, Höhlenlöwe
und viele andere Tierarten sterben aus, die Schichten sind
fossilfrei. Es folgen im hangenden Blockschutt Wisente,
Riesenhirsche sowie Alpenspitzmaus und Lemminge als letzte
Zeitzeugen der Weichseleiszeit. Schlagartig wechselt das Sediment:
rotbraune Tone mit Holzkohlen und einer artenreichen Waldfauna des
Altholozäns. Das starke Auftreten von Schlafmäusen und wärmeliebenden
Fledermausarten (Myotis
emarginatus, Myotis bechsteinii) zeigt ein deutlich milderes
Klima als heute an.
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Darüber liegen überall in der Höhe
Sedimente mit u.a. Millionen von Kröten- und Froschknochen
und Schneckengehäusen: Wir haben unsere Jetztzeit erreicht und können
hinaus gehen aus der Höhle in den Kalkbuchenwald, ein besonderer
Biotop der Südharzer Zechsteinlandschaft.
Laubmischwälder
mit Dominanz der Buche auf mäßig trockenen bis frischen,
karbonatreichen und lehmigen
Standorten prägen diese Landschaft. Die Bestände der ökologisch
sehr wertvolle Dolomitfelsflur zeichnen sich durch eine besonders
hohe Arten- und Strukturvielfalt aus. Die zum Naturdenkmal
Einhornhöhle gehörenden Abris (Halbhöhlen), Verwitterungshöhlungen
und Spalten in den Felsen bieten zudem vielfältige Lebensräume.
Der Kreis hat sich geschlossen. Mit dem Gang durch die Höhle
erleben wir nicht nur eine uns sonst verborgene Welt der ewigen
Dunkelheit, wir machen zugleich eine Zeitreise durch die
Landschaftsformen der Vergangenheit.
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Wollen
Sie mehr wissen?
Dieser
Beitrag konnte das vielfältige Thema „Einhornhöhle“ nur anreißen.
Wollen Sie mehr wissen? Dann besuchen Sie uns mal – Interpretation
kann nur am Objekt erfolgen – wir führen Sie gern durch die Höhle.
Die
Einhornhöhle ist auf der B27/243 über Herzberg, Ortsteil
Scharzfeld, gut erreichbar; es gibt einen eigenen Waldparkplatz
etwa 250 m vom Haus Einhorn entfernt, auch für Busse.
Autobahnabfahrten von der A7 sind von Norden Seesen oder von Süden
Göttingen bzw. Northeim Nord. Die Höhle ist zudem Wanderziel vom
Bahnhof
Scharzfeld; in nur 20 Min. wandert man auf ausgeschildertem
Weg zur Höhle. Der Weg zu allen wichtigen Informationen über die
Einhornhöhle führt auch über das Internet – siehe www.einhornhoehle.de
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Weiterführende
Literatur zur Einhornhöhle (Auswahl)
von
Alten, P.
(1907): Die
Ausgrabungen in der Einhornhöhle bei Scharzfeld (Südharz).
- Der Harz 2 und 3, 14.Jahrgang: 35-49; 65-75; Quedlinburg.
Flindt,
S., Fricke,
U., Hummel,
S., Knolle, F.,
Vladi, F. & Walter, D. (2001): Höhlen im Westharz und
Kyffhäuser: Geologie, Speläologie, Archäologie.- Hrsgg. v.
Landkreis Osterode am Harz in Zusammenarbeit mit der
Arbeitsgemeinschaft für Karstkunde Harz e.V. und dem Thüringischen
Landesamt für Denkmalpflege. Archäologische Schriften des
Landkreises Osterode am Harz, Bd. 3.
Jacob-Friesen, K.-H.
(1926): Die
Einhornhöhle bei Scharzfeld, Kreis Osterode a. Harz. - Führer
zu urgeschichtlichen Fundstätten Niedersachsens, Nr.2: 34 S., 10
Abb.; Hannover.
Knolle,
F. (Red.,2004): Die Einhornhöhle.- Unser Harz, 52. Jg., H. 2,
Clausthal-Zellerfeld
Löns,
H.
(1907): Was
geht in Scharzfeld vor?. - Heimat, 12/1907: 1-2; Hannover.
Nielbock,
R. (1989): Die Tierknochenfunde der Ausgrabungen 1987/1988 in der
Einhornhöhle bei Scharzfeld.- Archäologisches Korrespondenzblatt,
Bd. 19, Mainz
Nielbock,
R. (2002): Die Einhornhöhle - Forschungsstand und Perspektiven. -Abhandlungen
zur Karst- und Höhlenkunde, Tagungsband 8th
International Cave Bear Symposium, S. 5 -11; München.
- Nielbock,
R. (2003): Die Suche nach dem diluvialen Menschen - oder:
- Die
Erforschungsgeschichte der Einhornhöhle. - Die Kunde N.F., Bd.
53, Hannover
Paul,
J. & Vladi,
F. (2001): Zur Geologie der Einhornhöhle bei Scharzfeld am südwestlichen
Harzrand.- Bericht der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover, Bd.
143, Hannover
Reinboth,
F. & Vladi,
F. (1980): Johannes Letzners Beschreibung der Steinkirche und der
Einhornhöhle bei Scharzfeld.- Harz-Zeitschrift, Jg. 32,
Braunschweig
Regionalverband
Harz e.V. (2003): Landmarke 5 Schloss Herzberg.- Faltblatt zum
Geopark Harz, Quedlinburg
Struckmann,
C.
(1883): Die
Einhornhöhle bei Scharzfeld am Harz - Ein Beitrag zur Urgeschichte
des nordwestlichen Deutschlands. - Archiv Antrhopologie XIV:
191-234, 3 Taf.; Braunschweig.
- Veil,
S. (1989): Die archäologisch-geowissenschaftlichen Ausgrabungen
1987/1988 in der Einhornhöhle
- bei
Scharzfeld, Ldkr. Osterode am Harz.- Archäologisches
Korrespondenzblatt, Bd. 19, Mainz
Virchow,
R.
(1872): Über
bewohnte Höhlen der Vorzeit, namentlich der Einhornhöhle im Harz.
- Zeitschrift für Ethnologie 4: 251-258;
Berlin. (Grabungsbericht).
Vladi,
F. (1981): Zum 100. Geburtstag eines Harzer Höhlenforschers –
Anselm Windhausen – Geologische Untersuchungen in der Einhornhöhle
in Scharzfeld am Südharz in den Jahren 1905 bis 1907.- Unser Harz,
29. Jg., H. 10, Clausthal-Zellerfeld
Anschriften
der Autoren
Arbeitsgemeinschaft
für Karstkunde
Harz e.V., Dipl.-Geol. Friedhart Knolle, Grummetwiese 16, 38640
Goslar, Tel. 05321/20281, Fax 43335, fknolle@t-online.de,
www.fknolle.de
Gesellschaft
Unicornu fossile e.V., Dr. Ralf Nielbock, Im Strange 12, 37520
Osterode am Harz, Tel. 05522/315 93-85, Fax -86, GUF@einhornhoehle.de,
www.einhornhoehle.de
Dipl.-Geol.
Firouz
Vladi, Düna 9a, 37520 Osterode am Harz
05522/71036
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